Die erwachende Germania
Beschreibung
Provenienz:
War im Besitz des Consuls Boeker in New York.
Gelangte bei einer Versteigerung an Mr. Turner.
Heute bei der New York Historical Society.
Ausstellungen:
Deutsches Historisches Museum, Berlin (2006–2011).
Quellenhinweise
Becker & Thieme: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler (1927)
New York, New York Histor. Society: Germanias Erwachen im Jahre 1848, 1849 (Kat. 1903)
Düsseldorfer Künstler aus den letzten fünfundzwanzig Jahren: kunstgeschichtliche Briefe (1854)
Von großem Wert in der Darstellung war auch die erwachende Germania des Künstlers, die an das verhängnisvolle Jahr 1848 erinnerte. Nur scheint es mir, dass Köhler zu sehr für die Realität geboren sei, als dass er sich an die Allegorie wagen dürfe.
Malerwerke des neunzehnten Jahrhunderts. Beitrag zur Kunstgeschichte (1895)
Die erwachende Germania. Allegor. Bild mit überlebensgr. Figuren. War im Besitz des Consuls Boeker (Böcker) in New-York u. gelangte bei Versteigerung der dortigen „Düsseldorfer Galerie“ an einen Mr. Turner. (Bericht d. „Illustr. Z.“ 1863).
Zur Geschichte der Düsseldorfer Kunst, insbesondere im XIX. Jahrhundert (1902)
Köhler war auch einer der wenigen Maler der älteren Zeit, die durch die 48er Ereignisse zu einer zeitgemäßen künstlerischen Schöpfung angeregt wurden. Er malte damals eine „erwachende Germania, vor welcher der Genius der Freiheit erscheint, während Knechtschaft und Zwietracht in den Abgrund stürzen“. Das Bild, das von Zeitgenossen sehr gelobt wurde, kam nach Amerika.
Die Königliche Kunst-Akademie zu D.: ihre Gesch., Einrichtung und Wirksamkeit und die D. Künstler (1856)
Eine andere Schöpfung des Künstlers, ebenfalls voll poetischen Schwunges, aber der Allegorie angehörig, entstand während der Zeit der jüngsten Erhebung des deutschen Volkes für Einheit und Freiheit. Es ist die „Germania“, bei deren Erwachen die Gerechtigkeit die scheußlichen Gestalten der Knechtschaft und der Zwietracht in den Abgrund stürzt und in glorienhafter Verklärung, das Banner der Einheit emporhaltend, der Genius der Freiheit erscheint. Das Bild hat ebenso wenig wie der in demselben versinnbildlichte Gedanke eine Stätte im Vaterlande gefunden, es ist ausgewandert nach Amerika.
„Germania“, allegorisches Bild mit überlebensgroßen Figuren (1849), im Besitze des Herrn Böer in New York
Extraausgabe zum Biedermeiermarkt Werben Christian Köhler (2011)
Öl auf Leinwand, Größe: 220 x 280 cm,
New York, Historical Society
Die Germania, die Personifikation Deutschlands, erwacht und greift nach der vor ihr liegenden Kaiserkrone und dem Reichsschwert. Zwei Genien bringen ihr das Recht (Schwert und Waage als Attribute der Gerechtigkeit) und die schwarz-rot-goldene Fahne als Zeichen der nationalen Einheit. Links im Hintergrund versinkt mit den Dämonen der Knechtschaft und der Zwietracht die alte Zeit in Finsternis (*5).
Marktbote
Biermeier Marktbote Ausgabe Nr. 8, Seite 5
Christian Köhler und die „Erwachende Germania“
Der aus Werben stammende Maler Christian Köhler war nachweislich ab 1849 Mitglied des Düsseldorfer Künstlervereins Malkasten, der am 11. August 1848 als Reaktion auf die revolutionären Ereignisse in Düsseldorf von 112 Künstlern gegründet wurde. Am 6. August hatte auf dem Friedrichplatz (dem heutigen Grabbeplatz) ein Fest der Deutschen Einheit stattgefunden, bei dem etwa 120 Künstler mit schwarz-rot-goldenen Fahnen einer Germania-Statue huldigten.
Ob Christian Köhler unter diesen Künstlern weilte, ist nicht überliefert. Sicher ist jedoch, dass Köhler unter dem Eindruck dieser Ereignisse sein wahrscheinlich bedeutendstes Bild „Die Erwachende Germania“ schuf, das sich heute im Museum der Historical Society in New York als bedeutendes Beispiel deutscher Kunst aus der Zeit der 1848er Revolution befindet. Das Bild war unmittelbar nach seiner Fertigstellung nach New York verkauft worden und dort ab 1851 zusammen mit anderen Bildern der Düsseldorfer Malschule auf Ausstellungen zu sehen.
Wir lesen in einem Katalog aus dieser Zeit: „Prof. Schadow, der Direktor der Düsseldorfer Malschule, betrachtete Köhlers „Die Erwachende Germania“ als eines der besten seiner (Düsseldorfer) Schule, und er glaube nicht, dass es in Europa einen zweiten Künstler gäbe, der fähig wäre, so hervorragend im Stil der alten venezianischen Meister zu malen, wie es Köhler in seinen Werken gelang.“ (Irmgard & Frank Gellerich, Wolfgang Brandt)
Germania allegorisch
Das Bild von Christian Köhler ist eine politische Allegorie, die unmittelbar auf historische Ereignisse reagiert. Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der europäischen Nationalstaatenbildung, die Revolution von 1848/49 brachte dieses Thema auch in den deutschen Kleinstaaten auf die Agenda. Köhlers Gemälde ist Ausdruck der Hoffnungen eines progressiv eingestellten Bürgertums, das in der Revolution von 1848/49 und der anschließenden Einberufung einer ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche die Chance für die Reichseinigung sah, die seit Jahrzehnten gefordert wurde – schon Goethe und Schiller hatten sie thematisiert, nach den „Befreiungskriegen“ bis 1813 und der darauf folgenden „Vormärz“-Bewegung erhielt sie neue Brisanz. Diese Hoffnungen – 1849 noch schmerzlich enttäuscht – wurden erst 1871 durch Bismarcks Reichseinigung „von oben“ durchgesetzt, mit den höchst fatalen Folgen einer nationalistisch-chauvinistischen Welle, die direkt in die zwei Kriege des 20. Jahrhunderts mündete.
Davon ist bei Köhler noch nichts zu merken. Seine Germania greift zum Schwert – es handelt sich um das Schwert Karls des Großen – in der linken Hand hält sie seine Krone (zwei Teile der „Reichsinsignien“). Sie tut das angesichts eines deutlichen Unrechtszustandes: im Hintergrund links sehen wir zwei wild kämpfende graue Gestalten, den ewigen „Bruderzwist“ der Deutschen darstellend, der u.a. mit einer Geißel ausgetragen wird - einer Peitsche, an deren Ende Metallstücke angebracht sind. Die Germania erstarrt angesichts dieser Brutalität und wird von der über ihr schwebenden Justitia, der Göttin der Gerechtigkeit mit Waage und Schwert, zum Eingreifen gedrängt. Im Hintergrund trägt ein Siegesengel die schwarz-rot-goldene Fahne, die von der Paulskirchenversammlung am 13. November 1848 offiziell zur deutschen Nationalflagge ausgerufen wurde. Sie war das Symbol für die Reichseinigung im Geiste einer republikanischen bürgerlichen Verfassung, die allerdings damals noch nicht erfolgte. Die reaktionäre Reichseinigung von 1871 unter Bismarck brachte erst einmal die schwarz-weiß-roten Farben. Erst die Verfassung der Weimarer Republik bestimmte am 14. August 1919 schwarz-rot-gold zur Staatsflagge. Es gibt weitere Symbole: Germania ist eine sehr ansehnliche und zugleich kraftvolle blonde junge Frau, sie trägt ein sehr wertvolles Brokatgewand und auf dem Kopf einen Kranz aus Eichenblättern, ein Symbol für Stärke und Langlebigkeit. Sie hat die sprichwörtliche weiße Schlafmütze des deutschen Michels gerade eben abgelegt – rechts auf dem Felsen. Außerdem lag sie eben noch auf dem ebenso sprichwörtlichen „Bärenfell“, einer von Tacitus beschriebenen „Schlafmatte“ der Germanen. Durch das Bärenfell war bislang das Schild Karls des Großen verdeckt: der Schutz für die germanischen Völker unter ihrer Schlafunterlage – eine sehr eindringliche Symbolik.
Die Komposition des Bildes unterstützt diese Aussagen. Es gibt von links-unten nach rechts-oben gerichtete dynamische Linien, einmal durch die Figur der Germania selber, durch die Felsen, durch die drei Gesichter oben und durch das Schwert. Es gibt eine weitere Linie: von Justitias Schwert zu Germanias rechtem Arm – die beiden Schwerter bekommen damit eine Verbindung. Die Botschaft lautet: Die Revolution von 1848/49 ist ein Ruf, der die Germania aus ihrem über 1000-jährigen Schlaf aufweckt. Die Gerechtigkeit wird zum Sieg über den jahrhundertelangen Bruderzwist führen. Die Wirkung des Gemäldes bestand darin, dass seinerzeit alle Betrachter, die die politischen Symbole verstanden, zugleich vom Geist Köhlers waren und mit der Paulskirchenversammlung sympathisierten, dieses Gemälde als Bestätigung und Ermutigung ihres Standpunktes sahen: Ja, wir gehören zu einem größeren Ganzen, ja, wir sind Teile einer umfassenden, fortschrittlichen Bewegung. Köhlers Germania ist mithin nicht Ausdruck einer nationalistisch-chauvinistischen Reichseinigung, sondern sie fordert zu einer liberalen, republikanischen Sicht auf die Ereignisse von 1848/49 auf. (Jörg Schaefer)
Cataloging Note
Neuer Standort, Kat. 1903
From 2006 until 2011, Germania was exhibited in Berlin as the centerpiece of the Deutsches Historisches Museum’s display on the 1848 revolutions.
https://emuseum.nyhistory.org/objects/49402/germania#
Informationen
- Catalog ID
-
7053b8a0-790f-11ef-8ce8-63d8e2607d6f
[Permalink] - Object ID
- CK-49-01
- Künstler
- Christian Köhler
- Datierung
- 1849
- Bildgröße
- 220 cm × 280 cm
- Weitere Bezeichnungen
- Germanias Erwachen im Jahre 1848 / erwachende Germania, vor welcher der Genius der Freiheit erscheint, während Knechtschaft und Zwietracht in den Abgrund stürzen / Germania
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